Mit einer Pandemie hat Anfang 2020 keiner gerechnet und deren negative Auswirkungen sollte man nicht schönreden. Man kann sich jedoch überlegen, was so eine Krise für einen bedeutet. Man kann zum Beispiel warten, bis die Störung vorbei geht. Man kann sich aber auch dafür entscheiden, die plötzlich auftretende Ungewissheit als Hebel für Gestaltung zu nutzten.

Ein paar aktuelle Beispiele aus der Praxis:

  • Bereits in den ersten Wochen der Pandemie nutzten manche Unternehmen das, was sie hatten, um einen Beitrag zum Umgang mit der Krise zu leisten. Brauereien und Spirituosen-Hersteller lieferten Alkohol für die Desinfektionsmittelproduktion (Jägermeister, Diageo u.a.) oder stellten sogar selbst Desinfektionsmittel her (Beck´s u.a.).
  • Die Herstellung von Schutzmasken war naheliegende für alle, die beruflich mit Textilien und Nähmaschinen zu tun haben. Beispielsweise hat der schwäbische Bekleidungshersteller Trigema im ersten Lockdown innerhalb von Tagen einen großen Teil seiner Produktion auf Mund-Nasenschutz umgestellt.
  • Ugur Sahin und Özlem Türeci abeiteten bereits seit 20 Jahren an der Entwicklung von personalisierter Krebs-Immuntherapie auf Basis einer vielversprechenden, neuen Technologie namens mRNA. Im Januar 2020, als Covid19 gerade erst in Wuhan wütete, entschieden die beiden quasi am Küchentisch, die volle Aufmerksamkeit ihres Mainzer Startups Biontech in die Entwicklung eines Covid-Impfstoffes umzulenken. In Kooperation mit Pfizer arbeiten sie daran, den ersten mRMA-Impfstoff weltweit zu entwickeln.
  • Flugbergleiterinnen der Scandinavian Airlines, deren Flugzeuge am Boden blieben, nutzten ihre Fähigkeiten, absolvierten Zusatzausbildungen und halfen in Krankenhäusern und Pflegeheimen aus.
  • Improvisations-Schauspieler versuchten rasch, ihre Shows ins Netz zu verlegen. Oft mit der Haltung „möglichst wie auf der Bühne“ und „im Netz geht das halt nicht so gut“. Das Grazer Theater im Bahnhof gingen einen Schritt weiter und machten sich die Möglichkeiten zu eigen, die das Video-Konferenz-Tool Zoom bietet. Die Produktion „Serienjunkies“ nutzte zum Beispiel Screenshots der Wohnzimmer des Publikums als Hintergrund für ein innovatives, Zoom-taugliches Erzähl-Format. All das mit zahlendem Publikum und ausverkauftem (Zoom-)Haus.
  • Absagen, verschieben oder …? Der erste Lockdown hat auch Kongressveranstalter kalt erwischt. Die einen setzten auf Durchtauchen, verschoben ihre Veranstaltungen und hofften, dass sich alles wieder „normalisieren“ würde. Andere entschieden sich für eine „Notlösung“ und stellten auf online und meist auch auf „(fast) gratis“ um. Eine weitere Gruppe interpretierte die Krise als gute Chance, ganz neue Veranstaltungsformate im virtuellen Raum zu entwickeln, die die Vorteile des Mediums voll ausschöpfen.
  • Auch die globale Effectuation-Community nutzte die Gunst der Stunde. Globale Zusammenkünfte von bis zu 150 Forscherinnen und Praktikern fanden in der Regel alle 18 Monate statt und hatten einen ebenso langen Planungs-Vorlauf. Dass sich fast 200 Personen mit Vertretern von allen Kontinenten innerhalb weniger Wochen für eine 4-Stündiges Format organisieren können, in dem in Breakouts in Summe über 200 Stunden Online-Austausch stattfindet, hat vor Covid niemand auch nur in Erwägung gezogen.
  • Während die einen in der Beratungsbranche darauf warteten, dass die Pandemie doch vorbeigehen möge, nutzen andere die Chance, sich neu zu erfinden. Und das auf unterschiedlichsten Ebenen: Über Online-Tools, die Zusammenarbeit im virtuellen Raum mitunter effizienter machen als in Präsenz. Über die Produktion von Videos, die Beratungsleistungen ergänzen und effektiver machen. Über neue Formen hybrider Angebote, in denen sich virtuelle Sequenzen, Präsenztermine und digitale Artefakte ergänzen.

All das sind Beispiele dafür, wie man Veränderungen in den Umständen als Handlungsanlass begreifen kann, anstatt sich bloß zu schützen. Viele Menschen haben aufgrund von Covid beruflich wesentlich weniger Zeit im Auto oder Flugzeug verbracht und waren trotzdem besser in Kontakt mit Kollegen, Kundinnen, Partnern und anderen Anspruchsgruppen als davor. Es ist noch nicht entschieden, welche Covid-bedingten Neuerungen bleiben werden und welche wieder verschwinden werden. Wir wissen aber auch nicht, ob und wann es wieder ein „normal“ geben wird. Wir können beides nicht vorhersagen, haben aber einen Einfluss darauf, was wir aus der Situation im eigenen Kontext machen. Ist „warten, bis es vorbei geht“ in diesem Lichte eine gute Option?

Quelle: Faschingbauer, M.: Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln. 4. Auflage, erscheint im Frühjahr 2021 bei Schaeffer-Poeschel

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